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Theatralisch-tragikomischer Akt oder richtige Konsequenz?

Vor etwa zehn Jahren, so erzählt Henning Mankell nach Medienberichten, habe er ein Manuskript verbrannt, weil ihm die darin enthaltene Schilderung eines Gewaltverbrechens, hier eines Kindesmißbrauchs, selbst zu naheging – ein, wie ich meine, theatralischer, ja tragikomischer, aber irgendwie auch Respekt verdienender Akt, denn welcher Autor ist schon bereit, vorsätzlich ein ganzes eigenes Manuskript innerhalb von Minuten ein Raub der Flammen werden zu lassen?

Wenn ich mir dagegen in Erinnerung rufe, welche Scheußlichkeiten Mankell sonst zu beschreiben pflegt – wobei ich nur von dem ausgehen kann, was mir berichtet wurde, denn seine Werke selbst zu lesen fühlte ich mich bisher nicht veranlaßt –, dann frage ich mich, ob es für ihn selbst und vor allem seine Leserschaft nicht vielleicht die vernünftigste, richtigste Konsequenz war, die die Entstehung seines Manuskripts nach sich ziehen konnte?

Man verstehe mich bitte nicht falsch: Weder befürworte ich die Zensur, noch halte ich eine Literatur für sinnvoll, die das Böse, Schreckliche, Eklige zu beschreiben sich partout und ausnahmslos verbietet. Aber auch und gerade bei Inhalten solch negativen Charakters muß der Literat sich fragen, zu welchem Zweck er sie in welchem Ausmaß in sein Werk einarbeitet, das heißt, er muß sie einerseits rechtfertigen und andererseits wohldosieren können. Die Argumentation Mankells, die Wirklichkeit sei “immer noch viel brutaler” als das, was er geschrieben habe, stellt jedenfalls keine zufriedenstellende Rechtfertigung dar. Denn gerade weil die Realität literarische Darstellungen oftmals um ein Vielfaches an Grausamkeit und Schrecklichkeit übertrifft, sollte ein Literat sehr genau abwägen, was er in welcher Detailschärfe thematisiert. Ist ihm nämlich die rein informative Darstellung des gräßlichen Geschehens ein Anliegen, kann er dem Leser stattdessen auch die Printmedien, das Fernsehen oder entsprechend authentische Weblogs empfehlen, in welchen weltweit täglich in Millionenauflagen neue Schreckensbotschaften erscheinen. Geht es ihm dagegen bloß darum, dem Leser Angst einzujagen und mittels Grausen zu unterhalten, so sollte er sich die Frage stellen, welchen literarischen Anspruch sein Werk wirklich hat; denn ein Leser, der nach Derartigem giert, kann auch Stephen King lesen (um noch einen der Harmloseren, und vielleicht Anspruchsvolleren! zu nennen).
Um so seltsamer, daß Mankell den Berichten zufolge sein Tun von damals heute “bedaure”. Welchen Grund hat er dazu? Würde sich das Buch aufgrund seines bekannten Namens gut verkaufen? Ist es gar der finanzielle Verlust, der ihn heute reut?

Ich sage es noch einmal, ich bin gegen die Zensur – und glaube dennoch, daß es für die (lesende) Welt in diesem Fall vielleicht ein Gewinn ist, daß ihr das Werk eines bekannten Schriftstellers “fehlt”.

Ich wiederhole mich ebenfalls mit der Feststellung, daß Literatur auch Gräßliches beschreiben muß. Aber mein ganz persönliches Anliegen ist es, mit Literatur vorrangig das Schöne zu beschreiben und das Schreckliche dabei, wenn keinesfalls auszusparen, so doch nicht auszubaden. Daß es bei diesem Beschreiben Grenzen gibt, die nicht überschritten werden, ist für mich keine Frage der Ethik, sondern es ist für mich ganz selbstverständlich, entspricht gewissermaßen meinem literarisch-ästhetischen Empfinden und meinem kreativen Wesen.

Die Werke vieler heutiger Autoren von historischen und phantastischen Romanen sprechen leider eine ganz andere Sprache. Vielleicht ist es der Zeitgeist, der ihnen solches abverlangt, die Leser, die nach brutalen Schilderungen lechzen – “Die wollen im wahrsten Sinne des Wortes Blut spritzen und Knochen krachen hören!” schrieb mir vor längerer Zeit der Lektor einer großen literarischen Agentur –, und, noch eine Ebene tiefer, der Markt, der Blut und krachende Knochen in klingende Münze zu wandeln verspricht.
Bravo, Henning Mankell, daß Sie sich hiervon vor zehn Jahren nicht haben locken und berirren lassen! Nur das Bedauern, das sollten Sie ohne zu zögern und guten Gewissens weit von sich werfen.

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