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Von AHA!-Erlebnissen und CG-Kreaturen

Eigentlich halte ich es nicht für erstrebenswert, in diesem Blog allzu viel über Filme zu plaudern; in diesem Falle jedoch scheint mir der eingehende Rückblick auf den gestrigen Abend durchaus gerechtfertigt. Denn schließlich haben die Bücher von C. S. Lewis einen Teil meiner Jugend wesentlich geprägt und mein eigenes literarisches Schaffen durchaus beeinflußt; und so möchte ich heute ein wenig über die aktuelle filmische Umsetzung plaudern, die zu genießen ich gestern Gelegenheit hatte.

Das Kino zu erreichen - Filmstart 20.00 Uhr - war schon ein Abenteuer, welches uns einige Nerven kostete. Aufgrund des Weihnachtsmarkts (noch dazu am Samstagabend) waren alle Parkhäuser belegt, und in der Altstadt gibt es ansonsten wenig bis gar keine Möglichkeiten, das Auto abzustellen. Noch dazu blockierten die an den Einfahrten wartenden Wagen die Straßen, so daß wir, bis wir endlich in einem der vom Kino am weitesten entfernt liegenden Parkhäuser doch noch einen Platz fanden, rund eine Dreiviertelstunde durch Heidelberg kurvten - und mit uns Tausende andere. Ich darf gar nicht an die Luftverpestung denken; das nächste Mal nehmen wir wohl besser den Bus.
Jedenfalls war es 20.10 Uhr, als wir das Kino erreichten - unsere vorbestellten Karten, abzuholen bis 19.30 Uhr, waren natürlich längst verkauft worden. (Auf die Idee, einer könnte die Karten holen, waren wir zwar gekommen, doch aufgrund der Parkplatzsuche, deren Ende nicht abzusehen war, hätte uns dies im schlimmsten Falle den Filmstart verpassen lassen; und da wäre ich persönlich dann doch lieber ein andermal gegangen, zumal Kinokarten samstags und schon gar bei Überlänge so übertrieben teuer sind.)

Am Kino selbst erwartete uns eine ca. 30 Meter lange Schlange.
"Hoffentlich kriegen wir noch Karten", sagte ich, und meine Mutter suchte die Monitore auf, die anzeigen, wie viele Plätze in welchem Film noch frei sind bzw. ob alle Karten ausverkauft sind.
"Welchen Film möchten Sie sehen?" fragte derweil eine Frau, die sich hinter uns angestellt hatte.
"Bitte?" sagte ich, und: "Narnia" auf die wiederholte Frage hin.
"Ist das nicht ein Kinderfilm?" brachte die Frau ihre Skepsis auf den Punkt.
Gestreßt, wie ich von der Autofahrt und dem Lauf vom Parkhaus zum Kino und in Anbetracht der vielen vor uns Stehenden war, murmelte ich Unverständliches, um schließlich einzugestehen, daß die Romanvorlage natürlich im Genre Kinderbuch anzusiedeln sei, ich jedoch könne mich für Film wie Buch begeistern, sofern das Werk gut gemacht sei.
"Ist Narnia das denn?" fragte die Frau weiter und schien sich der Unüblichkeit ihrer kindlich-unbefangenen Neugier nicht im geringsten bewußt zu sein. Mittlerweile stand sie rechts neben mir.
"Ich hoffe es", hörte ich mich auf schale Floskeln ausweichen.
Meine Mutter meldete, daß es noch Karten gebe, und ging erneut fort, um sich etwas zu essen zu besorgen. Unmittelbar danach stieß ein Mann zu neben bzw. mittlerweile fast ein wenig vor mir stehender Frau, mit einem dampfenden Glühweinbecher in der Hand.
"Es ist ausverkauft", sprach die Frau, und ich rätselte noch, welchen Film sie wohl meinen mochte, da fuhr sie redselig fort: "Was sollen wir gucken?"
Der Mann brummte etwas in seinen Glühwein.
Ein Mädchen kam von links herzu und begann ebenfalls, mich langsam zu überholen. Es war ein Gefühl, als würde ich von der Menge verschluckt. Ich trat so dicht an die vor mir Wartenden heran, wie es nur ging.
"Narnia?" schlug die Frau vor.
"Ist das nicht ein Kinderfilm?" brummte der Mann, Dampfwolken ausstoßend.
AHA! klickte es in mir. ER mag also keine Kinderfilme. Und SIE wollte bei mir abchecken, inwieweit dieses Kriterium wohl auf den Narnia-Streifen zutrifft. Vielleicht will SIE ihn gern sehen. Vielleicht hat ihr Aslans Mähne auf dem Filmplakat gefallen. Oder meine.
Meine Mutter kam zurück, mit heißer Pizza. Ich war zu genervt, um davon zu essen. Sie war ohnehin hungriger als ich.

Als wir um kurz vor halb neun endlich an die Kasse kamen, war endlich Entspannung möglich: Wir bekamen problemlos Karten, und es liefen noch mindestens fünf Minuten Werbung, ließ man uns wissen. Wunderbar. Wenn ich in meinem Leben jemals Werbung gut gefunden habe, dann in dem Moment, da ich diese Worte vernahm.

(Achtung, es mag sein, daß im folgenden Text "Spoiler" enthalten sind - wer den Film also noch nicht gesehen hat, könnte um so manche Überraschung gebracht werden.)

Das erste Drittel von "Der König von Narnia" ist schlichtweg grandios. Die Notwendigkeit, die Kinder aufs Land zu schicken, wird vielleicht ein wenig zu zeitaufwendig dargestellt, aber alles in allem war ich positiv überrascht. Der Zug, das Haus, das Versteckspiel. Die wohltuende Ruhe in der musikalisch großartig gestalteten Szene des Winterwaldes mit seiner Laterne. Lucys überzeugend gespielte, witzige und anrührende Begegnung mit dem Faun; die Zweischneidigkeit des Charakters; die Gemütlichkeit seiner Höhle, der fatale Sog seines Schlaflieds. (Warum Aslans erster Auftritt vorgezogen wurde - das Feuer des Herrn Tumnus abrupt auslöschend - ist zwar nicht zu begreifen, es verfehlt jedoch nicht seine Wirkung. Eine nette Idee freier filmischer Gestaltung eben, genau wie später der Phönix in der Schlacht oder das zweimal auftretende Wesen aus Blütenblättern.)
Schön auch, daß man sich hier sehr eng an die Buchvorlage gehalten hat; daß Lucy zunächst in das Haus des Professors zurückkehrt, dann Edmund ihr nach Narnia folgt und die Geschwister erst beim dritten Mal alle zusammen durch den Kleiderschrank gehen, ist in Anbetracht der Tatsache, daß heutzutage jegliches Material an die gängigen Hollywood-Maßstäbe angepaßt wird, bevor wir es auf der Leinwand bewundern können, keineswegs selbstverständlich.

Hollywood-Maßstäbe beherrschen dagegen durchaus die letzten beiden Drittel des Films. Ort- und Zeitverhältnisse sind gerafft (so z. B., als das Rotkehlchen die vier Kinder aus der Höhle herauslockt, woraufhin sie dem Biber begegnen (im Buch folgen sie dem Rotkehlchen in den Wald) - aber es gibt noch zahlreiche andere Stellen. So ist auch die Flußüberquerung mit dem Doppel-Streß (Wölfe und Tauwetter) schlicht Drehbuch-Dichtung, die der Romanvorlage nicht gerade Treue beweist. Um so netter fand ich es, daß man den Weihnachtsmann nicht - wie Peter Jackson den Tom Bombadil - gestrichen, sondern in den Film mit aufgenommen hat, wenngleich er leider gerade nicht, wie Susan später behauptet, einen "roten Mantel" trägt (das nennt man dann wohl einen Filmfehler). Warum die Biber dagegen im Film leer ausgehen, weiß wohl nur Andrew Adamson (oder seine Kollegen vom Screenplay).
Die Werte und Regeln der westamerikanischen Traumfabrik prägen leider auch weitgehend die Dialoge, so, als Edmund in unsäglich abgedroschener, floskelhafter Hollywood-Manier sein Vertrauen in den älteren Bruder Peter zum Ausdruck bringt, oder als Susan während dem gemeinsamen Mahl zwischen den Zelten des bunt zusammengewürfelten Heeres ihre Zuversicht in Worte faßt (hundertmal hat man solche Phrasen schon gehört), oder aber während He-Beaver in seiner Behausung den drei Kindern die Prophezeiung erläutert. Die "Fish & Chips" von She-Beaver machten den Bruch perfekt; ich brauchte Minuten, um wieder in die Welt des Films zurückzufinden.

Was leider ebenfalls völlig an meiner Vorstellung eines gelungenen Film-Epos' vorbeiging, waren die vielen mißratenen Schlüsselszenen. Ich sage bewußt "die vielen", weil es auch wenige gelungene gab, so beispielsweise Aslans Unterredung mit Edmund, die dessen drei Geschwister von Ferne - aber ohne irgend etwas davon zu hören - mitverfolgen. Zu diesen vielen enttäuschenden Szenen zähle ich vor allem Aslans Opferung, die dem Zuschauer ohne den niederfahrenden Dolch der Weißen Hexe und eine Großaufnahme seines Gesichts viel nähergehen könnte; des weiteren die Annäherung der beiden Mädchen an den verlassenen Steinernen Tisch und den toten Aslan - "[a]nd down they both knelt in the wet grass and kissed his cold face and stroked his beautiful fur (...) [a]nd when they saw his face without [the muzzle] they burst out crying again and kissed it and fondled it and wiped away the blood and the foam as well as they could" (The Lion, the Witch and the Wardrobe, First Harper Trophy Edition, 2000, S. 157f.), leider vermittelt der Film nichts von alledem - sowie, was ich sehr bedauerlich fand, die Erklärung des Löwen nach seiner Wiederkehr, wo er davon spricht, die Hexe habe die alte Magie "nicht verstanden", dabei ist das Ganze im Buch sehr viel klarer und eindeutiger beschrieben ("deep magic from the dawn of time" vs. "deeper magic from before the dawn of time", wobei es der Hexe nicht möglich war, hinter die Schwelle "dawn of time" zu sehen, ihm dagegen sehr wohl).
Was mich auch ziemlich wunderte, da Disney eine ähnliche Szene im Lion King (1994) außerordentlich gut gelungen ist, war der Ritt auf dem Löwen zum Schloß der Hexe, bei dem ich einen anständigen Galopp (und nicht nur halbherzigen Trab) in Zeitlupe, unterlegt mit entsprechend pathetischer Musik, geradezu erwartet hätte.
Nun ja.
Kurz vor der Schlacht wird man dafür mit satten, sakralen Klängen belohnt, die sich, Applaus an Harry Gregson-Williams, unmittelbar vor dem Aufeinanderprallen der beiden Heere auf einen dumpfen Herzschlag reduzieren, den das Gefauche von Gepard und weißem Tiger schließlich kampferprobt entzweireißt.

Doch am problematischsten blieb sicherlich der Eindruck einer der Hauptfiguren, welche sich - wie ich gerne zugebe - selbst im Rahmen heutiger Möglichkeiten als äußerst schwierig zu gestalten erweist, strebt man eine realistische, glaubwürdige filmische Umsetzung an, und welche, da lebendig, nach meiner Auffassung sicherlich auch niemals mittels reiner Computertechnik naturgetreu wird verkörpern lassen.
Die Rede ist von Aslan.
Der Löwe sieht großartig aus, edel, stark, männlich, schön - und doch fehlt ihm das Wichtigste, wofür gerade Aslan in den Narnia-Chroniken allegorisch zu sehen ist: weltenschöpferisches Leben, mit universeller Liebe begabtes Leben, ewig jegliche Form überdauerndes Leben.
Gleich bei seinem ersten "richtigen" (und doch eigentlich zweiten) Auftritt - als er aus dem Zelt herauskommt und sich seiner Anhängerschar und den drei Kindern zeigt - sieht der Zuschauer (sofern er sich ein wenig für Großkatzen interessiert und einigermaßen mit deren Physiologie und Physiognomie auskennt), was alles nicht stimmt, wenngleich es teilweise schwer in Worte zu fassen ist ... ich werde versuchen, es an Details zu erläutern: Sein Körper ist in den Proportionen fehlerhaft, das Gesicht zu lang, die Schnauze zu breit, das Becken irgendwie krumm; das Fell wirkt leblos, fast schon zu perfekt und zu seidig, nie kräuselt es sich, und die Mähne scheint aus lauter einzelnen Strähnen zu bestehen, die in dieser Einstellung fast geisterhaft zu wogen scheinen, in jener wie ein Strickpullover wirken, den Aslan mal eben übergestreift hat ...
Besonders schwerwiegend zeigen sich die Verfehlungen der CG-Spezialisten jedoch an den Augen des Löwen. Sie wirken flach, die Pupillen zu groß, der Blick leer. Außerdem zwinkert Aslan viel zu oft (das täte er nur, wenn Fliegen und anderes Getier ihm ständig an seinen Augen zu schaffen machen würden). Schlecht recherchiert, da einfach falsch, zudem sein Blick. Ich hatte es befürchtet, mich jedoch nicht getraut, darüber zu schreiben, bis ich mich nicht selbst davon überzeugt hätte. Doch nun steht eindeutig fest: Die Augen des Film-Löwen tun alles mögliche, nur nicht das, was sie sollen, geschweige denn bei einer echten Großkatze tun würden. Denn die Augäpfel der Felidae sind fixiert, d. h. ein Löwe kann seine Augen nicht hin- und herbewegen, sondern muß den Kopf drehen, wenn er den Blickwinkel ändern will. Im König der Löwen, einem Zeichentrickfilm, kann man darüber hinwegsehen, bei einer realistischen Aslan-Darstellung dagegen nicht.

Man könnte glauben, es könnte schlimmer nicht kommen, doch das ist ein Trugschluß. Noch weniger genau recherchiert - oder noch weniger originalgetreu in die CG-Kreatur implementiert - muten die natürlichen Reaktionen an, die Aslan bisweilen zeitigt, so beispielsweise seine Drohgebärde. Nachdem er mit der Weißen Hexe allein über Edmunds (und sein eigenes) Schicksal verhandelt hat, fragt sie ihn, woran sie erkennen wird, daß er sein Versprechen auch hält. Daraufhin faucht er sie an. Das sieht ungefähr so aus, wie auf diesem Screenshot zu sehen. Als ich diesen entdeckte, vermutete ich zunächst eine Momentaufnahme, deren bewegte Szeneneinbettung mich vielleicht eines Besseren belehren könnte. Doch nein - Aslan sieht im Film wirklich so aus, und zwar für die Dauer der ganzen Einstellung (ca. eine halbe Sekunde). Alas!
Denn vergleicht man die Aufnahme mit dem Bild eines echten drohenden Löwen - wie hier zu sehen:
Threat.jpg
(Dank an Chris für das Bild!) -, so stellt man fest, daß die CG-Spezialisten es mit der Gesichtspartie der Raubkatze nicht so genaugenommen haben (die auch hier sichtbaren Augenprobleme habe ich ja weiter oben schon erläutert). Die Stellung von Mundwinkeln, Oberlippe, Schnurrhaaren und Nüstern könnte verschiedener nicht sein, doch am deutlichsten tritt der Unterschied auf dem Nasenrücken zutage, der bei einem echten Löwen stark gekräuselt sein müßte (im Film ist er es, wie gesagt, bedauerlicherweise nicht im geringsten, trotz Aslans weit aufgerissenen Rachens).

Ich merke schon, ich verliere mich vor lauter Begeisterung in Details. ;-) Zum Abschluß sollte ich vielleicht sagen, daß mir der Schluß des Films, so knapp er auch gehalten sein mag, wirklich gefallen hat, vor allem natürlich die Jagdszene der älter gewordenen königlichen Geschwister - wenngleich ich auch hier nicht verstanden habe, warum das Drehbuch nicht klar zum Ausdruck bringt, weshalb sie überhaupt in die wirkliche Welt zurückkehren: weil nämlich der weiße Hirsch, den sie verfolgen, demjenigen, der ihn fängt, jeden Wunsch erfüllt, und weil drei der Geschwister - alle bis auf Königin Susan - nicht eher zu ruhen gedenken, bis sie dies geschafft haben; und da der Hirsch im Unterholz verschwunden ist, folgen sie ihm eben ohne die Pferde nach ...

Alles in allem kann ich all denjenigen, die das Buch gelesen haben, den Kinobesuch des ersten "richtigen" Narnia-Films nur wärmstens empfehlen. Diejenigen, die das Buch nicht gelesen haben, sollten ihn natürlich ebenfalls ansehen, wenngleich ich persönlich der Meinung bin, daß man die Romanvorlage vorher - wenn möglich, zur rechten Zeit, nämlich in den Kindertagen - kennen- und schätzengelernt haben sollte.
Aber das überlasse ich lieber Euch und wünsche Euch auf alle Fälle viel Spaß beim Anschauen dieses großartigen Films.