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Sprache und Wirkung

Schon aus rein für das Self-Marketing relevantem Interesse beobachte ich, welche Suchanfragen so manche Internetsurfer auf meine Autoren-Website führen. Viele davon sind recht eindeutig nachzuvollziehen, so beispielsweise charisius streuner heyne. (Ich hoffe doch, Ihr kauft auch fleißig das Buch, wenn Ihr schon so genau wißt, was Ihr wollt! :-D)
Manch andere, wie autoren website, sind dagegen ziemlich weit gefaßt. (Ihr könntet genausogut auch politiker, festival oder kochrezept eingeben und würdet wohl kaum weniger mögliche Treffer erhalten.) Wieso syntaktisch fragwürdige Wortkombinationen wie liebe ist figuren zu mir führen, erschloß sich mir überhaupt erst, als ich selber eine bekannte Suchmaschine damit fütterte. (Sorry an alle, die vergeblich hoffen, hier zu diesem Thema fündig zu werden ...;-))

Ein seit jeher gehäuft auftretender, aber derzeit alle Rekorde brechender Suchstring ist sprachregister. (Wahrscheinlich ist momentan für viele Studenten großes Hausarbeitenschreiben angesagt. Und die Sprachregister gehören für alle Philologen/Linguisten bekanntlich zum Pflichtprogramm. Ich drücke jedenfalls die Daumen für glänzende Noten! 8-))
Der Artikel, den ich zum Thema verfaßt habe, ist mittlerweile fast fünf Jahre alt und bedürfte womöglich einer umfassenden Revision, zählt er doch nicht gerade zum Besten, was ich im Laufe der Zeit so verfaßt habe. Allerdings wurde er immerhin in einer Publikation zur Abiturvorbereitung des Klett-Verlags abgedruckt, worüber ich mich natürlich gefreut habe. (Noch mehr freute ich mich allerdings über den Scheck der VG Wort, der damit einherging ... :-P)

Durch die erneute Lektüre des Sprachregister-Artikels fühlte ich mich jedenfalls dazu angeregt, einmal mehr auf das Thema Sprache und Wirkung einzugehen – ein Thema, welches paradoxerweise einen Autor, je erfahrener er ist, desto intensiver umtreibt. Ist die Verschiedenheit der Sprachregister und ihre unterschiedliche Wirkung noch vergleichsweise leicht plausibel zu machen – wie etwa der Unterschied zwischen weißen und roten Rosen –, so gibt es zahllose weitaus subtilere Mittel, um grob ein- und dieselbe Aussage unterschiedlich zu transportieren und ihr somit jeweils einen anderen Aspekt, eine andere stilistische oder sogar inhaltliche Note zu verleihen. So zum Beispiel die Syntax: Manchmal kann da die Wahl tatsächlich zur Qual werden - genau wie die Wahl zwischen, um beim Blumenvergleich zu bleiben, reinweißen, cremeweißen, altweißen, weißmelierten oder in weiße Schokolade getauchten Rosen.

Um die Sache zu veranschaulichen, hier ein einfacher Satz, fast wörtlich aus meinem aktuellen Manuskript entnommen:

Blitzend fuhr ihm die Klinge entgegen. (1)

Warum habe ich mich speziell für diese Satzstellung entschieden? Nun, sie schien mir die Dramatik der Situation am besten einzufangen und am eindringlichsten wiederzugeben. Ganz bewußt habe ich blitzend an den Anfang des Satzes gestellt; dadurch liegt eine leichte Emphase auf dem grellen optischen Reiz, der im Situationszusammenhang wesentlich ist, zumal er der Figur eine Erinnerung aufprägt.

Dagegen hätte ich auch die reine Standardsyntax bemühen und ergo schreiben können:

Die Klinge fuhr ihm blitzend entgegen. (2)

Kurz und leicht verständlich, wie sie sind, bergen Sätze nach diesem Schema allerdings die Gefahr, simpel zu wirken, gerade wenn sie gehäuft auftreten.

Eine weitere Möglichkeit, den Sachverhalt zu beschreiben, wäre die folgende gewesen:

Ihm fuhr die Klinge blitzend entgegen. (3)

Bei dieser Variante liegt im Gegensatz zu (1) ein – sehr subtiler, möglicherweise gar nicht für jeden nachvollziehbarer – Fokus auf der Figur, um die es geht (“Er”). Nach meinem ganz persönlichen Sprachgefühl wirkt das blitzend hier allerdings holprig, ja deplaziert; fast scheint mir sogar seine Wortbedeutung an Glaubwürdigkeit einzubüßen, je öfter ich den Satz lese. Erstaunlich: Bloß eine ungeschickte Wahl der Wortstellung hat das gefährliche Potential, den Inhalt des Satzes zu korrumpieren!

Zu guter Letzt noch eine archaisch-rhythmisierte Variante, die sich für meinen derzeitigen Prosastil am wenigsten von allen geeignet hätte:

Entgegen fuhr ihm die blitzende Klinge. (4)

Man könnte übrigens noch unzählige weitere Varianten (mit ihren jeweiligen feinen Nuancen im Hinblick auf Stil und inhaltlicher Gewichtung) erzeugen, z. B. indem man das blitzend in Kommata zwängte und an eine beliebige andere Stelle im Satz verpflanzte:

Die Klinge, blitzend, fuhr ihm entgegen. (5)

Die angedeuteten minimalen Verschiebungen auf der Inhaltsebene sind freilich schwer festzumachen und werden von Leser zu Leser bestimmt unterschiedlich empfunden und bewertet. Natürlich sind deshalb auch meine obigen Beobachtungen subjektiv zu verstehen.
Leichter zu beurteilen ist da sicherlich die jeweilige Wirkung einer bestimmten Variante in bezug auf die erwünschte Satzrhythmik. Diese wiederum ist stark abhängig nicht nur vom Sprachduktus, sondern auch schlicht von den benachbarten Sätzen – variatio delectat, wie der Lateiner so schön sagt, was mir durchaus einleuchtet. Ebenso ist die gewünschte subtile inhaltliche Gewichtung abhängig vom Kontext der Szene, von der Anlage der Figur(en) und natürlich von den sonstigen Erzählparametern.

Und: Das Ganze ist selten Kopfsache. Meistens entscheide ich mich nach Gefühl für eine bestimmte Variante, gerade im Bereich der Syntax. Verblüffend jedenfalls, daß ich immer häufiger bewußt eine bestimmte Wahl treffe – was vermutlich dem Umstand geschuldet ist, daß ich immer bewußter zu schreiben gelernt habe.

Aber zu irgendwas müssen die Tausende von Seiten, aus denen mein “Jugendwerk” besteht, ja schließlich gut gewesen sein! ;-)

Schreibpuzzle

Ein Manuskript, das ich eigentlich “nur so nebenbei” schreiben wollte, um bei Laune zu bleiben und mir eine gewisse Routine zu erhalten, hat sich unversehens meine volle Aufmerksamkeit erobert. Aus interessanten Figuren, neuen (alten) Schauplätzen und einem Füllhorn passender Ideen formt sich eine, wie ich jetzt schon sagen kann, epische Geschichte – und das interessanterweise ohne allzu große Mühe, ohne daß ich allzu viel planen und plotten, überlegen und überarbeiten müßte ... wie ein Puzzle, das sich langsam von selbst zusammensetzt.

Geschichten, die so entstehen, sind erfahrungsgemäß die besten.

Die Hand des Autors, der die Einzelteile an Ort und Stelle setzt, die braucht es freilich trotzdem. Manchmal fehlen auch welche davon, und Ersatz ist nicht von jetzt auf gleich zu schaffen. Schreiben ist und bleibt ein mühseliger Prozeß. Aber eben einer, der zu meinem Dasein dazugehört, auch wenn es immer wieder Zeiten gab und gibt, die mich genau daran zweifeln lassen. Die Erfahrung dieser Sicherheit ist sehr beruhigend, gerade wenn so viele andere Dinge im Leben aufwühlen, verunsichern, ratlos machen.